DEUTSCH

ISTVÁN LÁSZLÓ G. SANDFUGE

István László G. wurde am 21. Dezember 1972 in Budapest geboren. Er ist Dichter, Übersetzer und Dozent. 1997 erlangte er sein Diplom in den Fächern Anglistik und Hungarologie an der Budapester Universität ELTE. Derzeit lehrt er an der Reformierten Universität Gáspár Károli am Lehrstuhl für vergleichende Literaturwissenschaft englische und amerikanische Literatur. Seine Gedichte erscheinen in den angesehensten ungarischen Zeitschriften. Er übersetzt regelmäßig Lyrik und in Verse gefasste Dramen aus dem Englischen, so war er an der neusten Übersetzung des Dramenbandes von William Butler Yeats sowie der ausgewählten Gedichte von Yeats, Ted Hughes und Sylvia Plath beteiligt. Zudem überträgt er auch die Werke zeitgenössischer irischer, kanadischer und schottischer Dichter ins Ungarische.
Werke: Öt ajtón át (Liget, 1994), Kereszthuzat (Liget, 1996), Merülő szonettek (Belvárosi kiadó, 1999), Napfoltok (Liget, 2001), Amíg alszom, vigyázz magadra (Palatinus, 2006), Homokfúga (Új Palatinus, 2008), Pentagram – irische Gedichtübersetzungen (Parnasszus Könyvek, 2009), 7 poets, 4 days, 1 book – Renga with 6 other poets, (Trinity University Press, 2009), Sandfuge – zweisprachig, ausgewählte Gedichte, übers. von Orsolya Kalász und Monika Rinck, (Reihe Literatur merz&Solitude, Stuttgart, 2009)
Preise: Zsigmond-Móricz-Stipendium, 1999; Arbeitsstipendium des NKA (Nationaler Kulturfonds), 2006; Nizza Kavics-Preis, 2006; Radnóti-Preis, 2006; Übersetzungsstipendium Mihály Babits, 2007; Zoltán-Zelk-Preis, 2007.
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In seinem ersten Band schafft László G. István aus den Erlebnissen des Alltags und dem Anblick der Landschaft surreale, bizarre Bilder. Neben diesen Bildern, die den Leser nachdenklich werden lassen, gliedern und bereichern seine Lyrik verschiedene intertextuelle Bezüge und Paraphrasen. István ist ein kluger Dichter, ja ein intellektueller Dichter, doch bleibt diese Intellektualität nie abstrakt. Seine lyrische Welt ist weniger durch Abstraktion, als vielmehr durch Plastizität und Reflexivität gekennzeichnet. Bei seinem Blick ins Innere ist der Traum ein häufiges Medium. „Traumgedichte“ wie er in einem Zyklus aus dem Band Kereszthuzat [Durchzug, 1996] schreibt. Ein schönes Beispiel für die proportionale Redaktion eines Bandes ist der Band Napfoltok [Sonnenflecken], der aus drei Zyklen mit je dreiunddreißig Gedichten und einer Übersetzung besteht. Das Formgespür und die Stilkultur von László G. István zeigt am ehesten seine Komposition Merülő szonettek [Sinkende Sonette, 1999]. Der Band beinhaltet zweimal fünfzehn Sonette. Die lyrische Welt Istváns ist dialektisch, zweigegliedert. Neben der Trope des Sehens steht auch das Bild des Blindseins, neben der Leidenschaft die Angst. Die exakte, logische Formulierung demonstriert geradewegs die Evidenz des Unaussprechlichen. Mit den Worten seiner herausragenden Kollegin Krisztina Tóth: „Die Gedichte von László G. István sind flüchtig, ungreifbar: sie haben keine fassbare Geschichte, keinen Inhalt, Bilder wogen dahin, gehen ineinander über. Als würden Wortblöcke verschiedener Konsistenz und unterschiedlichen Gewichts eins werden: Was wir lesen, ist also nicht allein die Gesamtheit von Wörtern, sondern eine musikalische, mathematische Einheit, in der die Bedeutung der Wörter nur eines der Elemente ist, die dem Gedicht Gewicht verleihen, doch die Struktur selbst sich nach den Prinzipien einer tieferen, unbewussten Logik gestaltet. Wir geraten in einen subjektlosen, unendlichen Monolog, in einen Strudel von Eindrücken und Empfindungen: nie wird ausgesprochen, worum sich die Kreise des Gedichts in Wirklichkeit ziehen. Als wäre das Schreiben selbst ein langsames, konzentrisches Sich-annähern an seinen eigenen ungreifbaren Gegenstand.“ Zum ungreifbaren Gegenstand wird im Band Amíg alszom, vigyázz magadra [Solang ich schlaf, gib acht auf dich] Gott als die Metapher des Unbekannten, das der Leser auf sprachlicher Ebene auf jeden Fall kennenlernt, doch beim Lesen der Gedichte László G. Istváns, besonders beim Zyklus Katedrális [Kathedrale], spüren wir, dass dies auch zu einem Erlebnis des Existenziellen wird. Sein neuester Band, Homokfúga [Sandfuge], analysiert das Scheitern einer Beziehung, ihren Zerfall, den zugleich alltäglichen und kosmischen Skandal. Die konzentrierte, sich auf das Wesentliche fokussierende Lyrik von László G. István verdichtet sich zunehmend, die Metaphern werden immer radikaler. Diese Lyrik ist die Wüste der Liebe und die Kathedrale des Gedankens, sie spannt den Bogen zwischen Alltag und Ewigkeit.
Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der modernen ungarischen Lyrik, Magda Székely (1936–2007), schrieb über ihn: „er tritt mit einer fehlerlos fertigen Lyrik vor uns, kompromisslos trägt sie die modern-individuellen Inhalte in sich, ohne jedoch, dass die fürchterliche innere Arbeit an den Gedichten ersichtlich wäre, deren Oberfläche so perfekt schön und – scheinbar – einfach ist, als wäre nichts natürlicher als das, was sie sagen. Ihr Gewicht kommt beim mehrfachen Lesen ans Tageslicht, und damit, mit ihrer Schönheit und ihrem Gewicht, stellen sie eine großangelegte und tiefgehende Dichtung dar.“

(Tibor Keresztury)

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Monika Rinck, a versek németre fordítója / Übersetzerin

Kalász Orsolya, a versek németre fordítója / Übersetzerin

Cikk a német nyelvű felolvasásról és a könyvről / Über Sandfuge und Vorlesung

In einer Kathedrale, einem Burger King und einem Kaffeehaus, auf dem Rücksitz eines Taxis, beim Köpfen eines Fisches und beim Scheuern des Bodens sind die Figuren aus István László Gehers Gedichten auf der Suche. Sie suchen nach Gott, nach sich selbst, nach ihrem Platz und ihrem Weg auf dieser Welt. Die Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste, von denen seine Gedichte erzählen, verwebt Geher mit biblischen Geschichten und griechischen Mythen und bewegt sich so über einen konkreten sozialen, religiösen oder literarischen Kontext hinaus. Der Rahmen, den er für seine Gedichte aufspannt, ist vielmehr der eines fortschreitenden und sich fortschreibenden Mythos, ein Mythos der Menschheit und der Menschlichkeit.

István László G., geboren1972 in Budapest/Ungarn, studierte Anglistik und Romanistik und promovierte zu ungarischer Verslehre. Seine Übersetzungen zu Philip Larkin, Emily Dickinson,William Shakespeare, W. B. Yeats und Ted Hughes erschienen in Literaturmagazinen und Gedichtsammlungen. István László G. war 2008 Teilnehmer des Austauschprogramms zwischen der Akademie Schloss Solitude und dem József-Attila-Kreis in Budapest.

BURGER KING

Als wäre ihr Kopf eine Kastanie,
aus der Stachelhülle geschlüpfte braune Lichtspalte,
essen die Männer.
Sie denken nicht an die Frau, nicht an die Unendlichkeit
falten das durchfettete Papier auseinander,
durch die weiße Serviertte schlägt die Majonäse durch,
sie beißen in die Hamburger,
wie Mull, der in der Wunde kleben bleibt,
dreht sich das Essen in ihren Mündern,
sucht einen Weg um den Gaumen herum,
als ob es mit dem Schlucken geboren wird,
essen sie, allein.

DER OBERKELLNER
(Főpincér)

Nicht seine Kraft, seine zielgerichtete Aufmerksamkeit
benutzt er, den deodoranten Klang seiner Stimme,
ein müder Musiker, der sich nicht um die Takte schert,
er räumt und ordnet, Papiermüll und fleckige Tischdecken,
wie Nagellack tropft Wachs auf seine Fingernägel, blindlings
erfüllte Mission, die Requisiten einer Ministranten-Übung
mit Überlänge, die Fünf zahlt, doch anstelle der Evelation
klimpert Trinkgeld, gestärkte Grußformen,
Plattfüßiges, lässiges Stillgestanden, bemessene
kalkulierte Pausenzeichen.

Sein Kopf, ein Friedhof für Gesichter, bei jedem Gast
ein Ritus ohne Kaddisch, als grabe er darin,
bringt er die nächsten Runden, Kranz-Bestellung,
soviele Mägen, die Welt satt zu kriegen,
unbemerkbar bleiben, eine neue Gesellschaft
elegische Pose, süßes Lachen, Gourmet-Salat.
Verschüttetes Salz, ein davon gerollter Teller,
jeder Mensch ein Angehöriger,
jeder dereinst selig.

DER FISCHANDLER
(Halárus)

Des Fischhändlers großer Tag. Wie
ein missverstandener Kriegsschmuck wippt die Mütze
auf seinem Schopf, eine Geste genügt,
den Kunden einzuschätzen, auf gut Glück
wählt er die Karpfen aus, seine verwachsenen
Fingernägel weichen im Aquariumwasser
immer wieder auf – man muss den Kopf
des Fischs erfühlen, die silbernen Augen
versteht nur der, der das Hackebeil
in der Hand hält, sein Herz
den Schlag schon vorbedacht, wer in der Schonung
grausam ist, vollbringt, was ihm das Schicksal zugemessen hat.
Er weiß, welches Fingerglied das Eisen
butterweich versenkt, und er schneidet
Augenlider mit der Schere ab wie andere
Sellerie oder Salat – er rodet die Worte,
die Menschen, rückt gerade, kämpft, wenn er verletzt.
Sein Herz ohne Borke, einen Baum stell dir vor, bei jedem Schlag
lodert das Kernholz auf, wenn der Fisch um den letzten
Schluck kämpft, schnappt Luft
nach Wasser.

GETHSEMANE
(Gecsemáné)

Als würde mich faulendes Fleisch schrecken,
kommt der Abend, die Dunkelheit
riecht streng, ihre Erinnerung zugenähte
Lichtlosigkeit, denn sie konzentriert sich,
doch gibt es nichts, worauf.
Die Fliegen kreisen, wie es ihre Sache ist.
Soviele kleine Füße berühren das,
was zu bewahren nicht mein Verdienst noch Glaube ist,
ich hielt es für Betäubtheit, gebe es einen Körper,
einen Namen der Angst. Das abgenagte Fleisch
von außen zu betrachten, ist Arbeit,
soviel sammelt sich in einer Zeit,
innen hat es kein Auge, um zu sehen –
in der Dämmerung verrottet dennoch ein inneres Auge,
ein für neues Licht nicht sensible Verzagen,
für das du jetzt alles gibst.
Trotz alle dem sei es nicht so wie ich,
sondern, wie du es willst.

WEG IN DEN HERBST
(Út az öszbe)

Auf dem lederbezogenen Rücksitz des Taxis
hast du dich eingenistet neben mir, als wolltest du
ein Ei ausbrüten. Vielleicht trugst du auch einen Pelz,
ein pelziger Vogel, unser Fahrer, der Zigarren raucht
ist gelangweilt und frech. Du reichtest mir
deine Fingernägel wie ein Raubtier seine Beute
übergibt, was fang ich damit an? – ich raspele
mit meinen Fingerkuppen auf dem Lack,
wie jemand der lange schon auf nichts anderes
gewartet hat. Auf der Straße weinte das Wasser. Schlug
gegen die Schutzbleche, als ob die Straßenecken ein Streichholz
anreißen wollten. Du hast dir auch eine angezündet,
als hätte deine Schweigsamkeit einen Geschmack
wippt und glänzt deine lange Zigarettenspitze. Noch nie
konnt ich schwangere Frauen ertragen.
In ihnen verharrt die Stille wie ein Stein,
niemals will ich einen solch schläfrigen Blick, in dem nichts
anderes träumt als die Zeit. Denn was müssen wir zurücklassen?
Wie viele Straßen weiter steigen wir aus dem Taxi? Es gibt
Vögel, vielleicht Pinguine, bei denen der Vater
die Eier ausbrütet, die haben es gut. Ich rede
über dies und das, und dass wir gleich da sind. Am Ende
der Strecke gestehst du mir, dass du nie ein Kind wolltest, irgendeine
Bluesmusik spielt, ich bitte den Fahrer nicht, sie auszuschalten.
Dringend, klar, Krankenhaus. Ich zerre dich hinaus, als ob
ich der Geburtshelfer wäre, raus aus dem engen Taxi.

DER TEICH
(A tó)

Als hätte das Wasser aus Knochen bestanden,
seine s-förmige Wirbelsäule, Schulterblätter und Rippen
wuchsen in strömenden Wellen zu einem Körper zusammen.
Darin kann ich nicht schwimmen, sagte ich.
Niemand hat mich geschickt, niemand gelockt.
Die Schärfe der Sonne, dem Himmel eintätowierte Scheibe,
strahlte aus einer tieferen Blindheit.
Man muss nicht eintauchen, die Oberfläche ist ruhig –
der Teich wie ein zu schnell entblößtes Geheimnis,
wurde langweilig und fad. Ich wusste, es würde
süß schmecken, trotzdem begannen in meinem Mund
Salzkristalle zu platzen wie Knallbrause.
Na, wie viele Köpfe hast du?, fragte jemand.
Na, wie viele? Nur einen. Dann spring alleine.
Als hätte das Wasser aus Knochen bestanden – darauf
der Schatten meines Kopfsprungs, der Bruch auf dem Röntgenbild.

QUECKSILBERREDE
(Higanybeszéd)

Man kann dir keine weiteren Fragen stellen,
du bist Herr über die Antworten – du gibst nicht
die Kraft, dir eine Frage stellen zu können,
auf die selbst eine neue erschaffende Bewegung
nicht Antwort genug wäre, egal was du zeigst. Aber wisse,
dass deine Demut ein Sturz in die Tiefe ist.
Kein Raum ist da, aus ihr emporzusteigen –
wenn du sie erlöst, bringen sie deine
perlende Stirn in ihre Nähe: Sie werden nicht selig.
Wie bündelst du gewechselte Kraft,
findest in deiner Kehle Platz zum reden,
wie wird es, wenn meine Angst mit einer
noch größeren Angst vollendet werden muss?
Unsere Erlösung, wie fließendes Quecksilber,
streut Perlen aus, aus deinen Worten, das Wort.
Du musst aussprechen, dass ich schutzlos bin
und verbergen, dass es nichts gibt, was dich schützt.

GEMENSAME FUGE
(Közös fúga)

Kein Unglück, wenn dein Kummer meiner
wird. Ich fange sowieso nichts damit an.
Mach ihn nicht kaputt. Über mein Unglück
kann man das Gleiche nicht sagen, das
wird dir zum neuen Kummer, also
ohne Unglück, wieder meiner. Ich fange
sowieso nichts damit an, mit meinem Kummer.
Mach ihn nicht kaputt. Es bekümmert mich,
wenn ohne Unglück mein Kummer
deiner wird. Du machst ihn kaputt.
Über dein Unglück kann man das Gleiche nicht sagen.
Das wird nämlich zu einem anderen Kummer von mir,
also ohne Unglück, wieder deiner. Das bekümmert
dich nicht. Du fängst mit ihm was an, mit meinem Kummer.
Du machst ihn kaputt. Kein Unglück, wenn jeder von uns
ohne Kummer bleibt. Wir fangen sowieso nichts
damit an. Wir machen ihn kaputt. Über unseren Kummer
kann man das Gleiche nicht sagen. Das ist schon wieder
ein anderes Unglück, das uns nicht verlässt. Wir
fangen damit etwas an. Vielleicht machen wir es nicht kaputt.

MIR SCHLIEßE DEINE AUGEN
(Rám hunyd szemed)

Zu wem betest du? Ich weiß nur zu gut
mit Menschenverstand das Immense zu messen,
ist wie das Wort anstelle des Mitleids setzen –
in den Wind geschickt, so wie ich dich jetzt, zu wem,
zu wem betest du, nur wenn du zu bemitleiden bist,
kannst du allmächtig sein, wenn es keinen gibt
der deinen Willen überdeckt, keinen
leeren Schatten oder blinden Fleck, nichts ist
was dein allsehendes Auge verhüllt,
so sehr verblasst du auch in der Liebe –
dein Wort ist versengtes Gewebe, wenn es
auf deiner Spur nicht sofort zu Asche wird: Nacht will
auch nicht unentwegt, dass anstelle der Gebete nur
ein Brunnen sei oder stillendes, ausgetrocknetes
Flussbett, füllt auf den Tag des Körpers
Schatten aufs Neue, zu wem betest du,
wenn keiner ist, an deiner Stelle spreche ich ein
erstes Gebet. Empfange es, als wäre es in dir
empfangen, deinem Spiegel: mir schließe die Augen.

ERSTES AGNOSTICHES FRAGMENT
(elsö agnosztikus töredék)

Entsetzlich wäre, an dir aufzuschrecken,
alles finden, im berstenden Eis,
unten, unter dem Eis, dass Ader das Gebet
mit eisigen Fäden dünn durchnetzt,
dass ich verblute, wenn es sich erfüllt.
Nur das Verlangen im tangigen Blick,
was erfüllt auch nicht glücklicher,
kann mir anstelle der erbetenen Namen
Leihnamen bringen, anstelle der Teilnahme
am Opfer. Es sei keine Rast möglich, kein Tag,
kein sich Hindrehen der Nacht, hoffe nicht,
wolle nicht, dass der Schleier in dir reißt,
entsetzlich wäre, an mir aufzuschrecken.

STERN VON BETHLEHEM
(Betlehemi csillag)

Das Jahr, in der Weihnachtszeit, hört zu,
tritt zu den anderen, kehrt in die Herde zurück
nicht dass es eine Stallwärme gebe, es kühlt eher aus,
wie der Raum zwischen den Sternen. Auch du
legst deine Hand so viele Male in die meine, dass es
schon viele Hände sind – und wir beginnen zu zählen.
Aber gerade das ist es. Anstelle von Zahlen bleibt
Eins. Mit links mache ich alles,
ist das ein Gedicht, auch das. In meinem Traum hatte ich
eine Tochter, ich wollte gehen und dauernd
rief mich sie mich zurück. Dem Stern bleibt Raum
sich zu drehen, doch zu Zeiten Bethlehems, wie ihm folgen.
Meine Tochter ermahnt mich, mein Vater: „Wenn du
sterben gehst, suche etwas dunkleres als meine Augen,
Sonst lass ich dich drinnen zurück. Und fertige dir
zur Auferstehung Wasser und Brot.” – „Wenn ich sterben
ginge. Wenn ich ginge. Wenn ich eine Tochter hätte.”

MARIA

Auf den Fuß setzte sich eine Fliege. Die ganze Zeit an der Wunde
entlang sich bewegend. Oben auf dem apfeligen großen Zehennagel
rieb sie sich erstmals die Hände, als wolle sie
das Beten verhöhnen. Nach dem Würgen
entlässt der Körper hüpfend den Krampf.
Die vergangne Zeit bringt die zugefrorene Atemnot
zum bersten. Wie lange schauen wir uns das an? Aus ihrem Feixen
schauen die Soldaten auf. Sie befragen das Relief
ihres Kopfschmerzes, den sich verdüsternden Himmel,
und trotzdem wird in mir der Kundige, das Wort geboren,
mein Sohn, denn ich habe weder Seelenkunde
noch Gewissen nötig. Meinetwegen hast du
nichts auf dich genommen, ich bleibe endgültig unbefleckt, alleine.
Nur mir, auf dem Heimweg schleicht sich der Staub in die Sandalen,
reibt meine Sohle rot, nur ich
denke immer nur an mich, selbst jetzt nicht an dich,
sogar der Essiggeschmack vermischt sich in meinem Mund
mit anderen Gewürzen, denn die Trauer, das Verderbnis
fliehen mich, haben Angst vor mir, wie das Lebendige vor dem Kadaver.
wie das Meer vor dem Mond, ich schaue deinem Verfall zu,
der Leere anstelle deines Gesichts, wie jemand
aus dem noch eine Skulptur werden kann, aber niemals ein Mensch.

NAVIGARE

Zwischen dem schmutzig weißen Schaum der Spüle
ist der grüne Zierstein deines Rings ein schwankendes Boot.
Ich nehme dich nicht mit, kein gemeinsamer Abend.
Ich weiß noch nicht, dass dein Gesicht sich dir entblättert
und deinem Verlangen wie ein Zugvogel
neue Kontinente sucht. Der Terpentingeruch
umschließt dich allmählich, als Höhlenschichten
versteinern sich auf dir zahllose Frühlinge, deren
Duft, du nur auf deinem Federbett spürst.
Berühr mich nicht, denn ich bin müde.
Ich mag den Knopfglanz deiner Augen. Auch wo
sie nicht finden, suchen sie, domestizierte
Gier, mit der viel eroberst. Noch sehe ich nicht,
dass, als du wütend zurückschautest, du genauso
aus deinem Körper den Ausweg suchtest.
Warum nimmst du den Ring ab? Der Stein verblasst,
was weiß ich, wird von den Mitteln angegriffen, es gibt
in deiner Wut diese Wachsfarbe, fast schon Andacht –
Flügel schlagen in der Kehle, tief verschluckte Zeit,
in der einst unter den vielen, vielen Falten auf den Hieroglyphen
deines Gesichts ich suche, ob ich erkennen kann,
bevor der gelangweilte Pathologe eintrifft,
ob es noch Wege gibt, mit dir in See zu stechen, irgendwann.

THESEUS
(Thészeusz)

Das Auge findet keinen Freund.
In seinem Kammerwasser löst sich
so viel eitle Treue in eins. Solange es aufweicht,
sucht es nicht nach Liebe, nur wenn seine
steinigen Herzufer eine Ader durchläuft,
glaubt es, dass des Blutes Stimme
im Blut zu sprechen beginnt, obschon es zu sich
zurückkommt, kreisend wie die Sünde,
die nur Sünde nährt, nicht das Verzeihen.
Ein Gebet, aus dem die Seele einen Ring formt,
den anderen hinaustreibenden, hohlen Boomerang. Die Zeit
wiederholt sich solange, bis am Haken
ihr Inhalt sich dehnt, einen Raum schaffend,
zurückschneidet, demusikalisiert zusammenwächst.
Ariadne, du Faden, du Seele,
in deinem Labyrinth habe ich so viele Worte,
Echos ineinander verflochten, wo ist geschrieben, dass
zu kämpfen keine Mitte ist, das Ungeheuer zu besiegen
kein Arm, kein Auge, nur an den Rändern
(ich reibe es wie einen Rosenkranz,
die Wellen der Wasserworte auf meinen Worten
lassen mich einschlafen)
Es ist Platz genug, meine Schmach aufzunehmen.

„HERBEIGERUFEN ZUM ZORNGERICHT” (Jesaja 13:3)
/”Haragomnak véghezvitelére” (ÉS.13.3)/

Für den Zorn gibts kein Wort. Er war auch nicht wütend.
Er hat seine Wut in eine zukünftige Möglichkeitsform gesetzt.
Zwischen zwei Baumstämmen die müdgrüne Spur
des Bartgrases, die ausgebrannte Zukunft, nicht mal
eine Prophetie über sie ausgesprochen. Nur
zwei fingerbreite Wüste, ein Bartmakel
am Gesicht des Propheten. Was seine Augenränder
zwickte, war dass er überall gezwungen war
zu zwinkern. Man sagt, die Kamele
verschlingen das Wasser, als ob innen sie beweinten,
dass sie trinken müssen. Und Regen sammelt nur
das, was ein trockenes Meer im Auge
entspringen lässt. Es dürfe auf die Dürre nicht kommen,
Wind, Erschöpfung, reiß meine Erde nicht auf,
es ziehe der Himmel keine Furche am Körper.
Es dörre mich die Leidenschaft nicht bis zur Wurzel.
Lass nicht zu, dass ich meinem Zorn heranwachsen lasse.

a verseket Monika Rinck és kalász Orsolya fordította
übersetzt von Orsolya Kalász&Monika Rinck